Die
anarchische Zweckentfremdung von Alltagstechnologien gehört
spätestens seit Marcel Duchamp eine Fahrradfelge auf
einen Barhocker schraubte zum Standardrepertoire der modernen
Kunst. Meist stellen solche Werke unsere Wahrnehmung in Frage.
Das ist bei den Blumenbildern der New Yorker Künstlerin
Katinka Matson nicht anders, nur dass man ganz genau hinsehen
muss, um zu erkennen, dass es gerade die enorme Klarheit
ist, die ihren Bilder eine surreale Aura verleiht. Da scheinen
die Blüten von innen zu strahlen und die Details sind
wie unter einem Vergrößerungsglas bis in die letzte
Faser erkennbar. Katinka Matson ist vielleicht nicht die
erste, die mit solchen Überzeichnungen experimentiert.
Die fotorealistische Malerei hat mit dieser Art von Hyperrealismus
in den 60er Jahren genauso gespielt, wie heute die Fotografen
Andreas Gursky oder Loretta Lux.
Scannerblüte |
Foto:
Katinka Matson
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Neu
ist allerdings die Technik, mit der Katinka Matson ihre
Bilder anfertigt. Anstatt Ölfarben oder Kamera benutzt
sie einen Scanner. Und weil die Lichtabtastung eines Scanners
selbst die leichteste Unschärfe oder Verschiebung
optischer Achsen eliminiert, entsteht ein naturalistischer
Effekt, der unsere Sehgewohnheiten deshalb in Frage stellt,
weil sich unsere Augen längst auf die Verzerrungen
von Foto- und Filmkameraobjektiven eingestellt haben.
Der
Wissenschaftshistoriker George Dyson beschrieb die Wirkung
von Katinka Matsons Bildern: "Die Verarbeitung visueller
Reize geschieht in Stufen – in der Netzhaut und im
Sehzentrum des Gehirns nehmen wir sie zunächst wahr,
bevor wir sie mit unserem Bewusstsein und unseren kulturellen
Parametern interpretieren. Aber es gibt auch evolutionäre
Stufen und irgendwo in uns ist noch die Sichtweise der
Insekten verborgen, die ohne die Linsen des Augapfels oder
gar einer Kamera
Licht aufnehmen. Einer der Gründe, warum Katinka Matsons
Arbeiten uns so berühren ist das Verfahren, dass ein
Scannerverfahren eine instektengleiche Sehweise neu erschafft
und uns in eine Urzeit zurückführt, in der wir
mehr gesehen haben, weil wir weniger angesehen haben."
Begonnen
hat alles mit einem Zufall. Katinka Matson war gerade dabei,
Fotos einzuscannen. Sie kann sich nicht mehr genau daran
erinnern, warum sie einen Strauss Blumen auf den Scanner
legte. "Ich war ziemlich frustriert an dem Tag. Aber die
ersten Blumenscans haben mich schon begeistert." Sie weiß nicht,
ob sie die erste oder einzige war, die mit dieser neuen
Technik experimentierte. Sie war jedenfalls die erste,
die Scannerkunst soweit perfektioniert hat, dass sie als
Künstlerin anerkannt wurde. Das New York Times
Magazine nahm sie im Jahr 2002 in seine alljährliche
Liste der Ideen des Jahres aus.
Fünf
Jahre lang experimentierte sie mit Techniken und Materialien,
bis sie die perfekte Kombination gefunden hatte, die Scans
mit Adobe Photoshop zu bearbeiten und sie als Irisprints
auf Aquarellpapier zu drucken, das auf Aluminium aufgezogen
wird. Weil Irisprints nur eine begrenzte Größe
haben können und zudem extrem empfindlich sind, hat
sie ihre neueste Serie weißer Spinnenblumen mit einem
neuen Druckverfahren auf überdimensionierte Leinwände
drucken lassen, was die Gemäldestruktur ihrer Bilder
noch verstärkt. Dreißig vierzig verschiedene
Scans macht sie normalerweise von einem Satz Blumen, bis
sie einen Winkel findet, der ihr interessant genug erscheint.
Es dauert auch jedes Mal mehrere Tage, bis sie das richtige
Stadium einer Blume erfasst hat. "Frische Blumen sind sehr
hübsch", sagt sie. "Aber erst wenn sie erste Anzeichen
des Welkens zeigen, werden sie auch interessant."
In
München sind Bilder aus Katinka Matsons "Spider"-Series
diese Woche im Rahmen des Bitfilmfestivals für digitale
Medien auf der Bundesgartenschau erstmals auf Leinwand
zu sehen. Dazu gibt es eine Projektion früherer Arbeiten.
ANDRIAN KREYE
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