FEUILLETON
SPINNERBLUMEN:
Katinka Matsons Scanner-Kunst fasziniert durch intensive Klarheit
Andrian Kreye
Montag, 1, August 2005

Die anarchische Zweckentfremdung von Alltagstechnologien gehört spätestens seit Marcel Duchamp eine Fahrradfelge auf einen Barhocker schraubte zum Standardrepertoire der modernen Kunst. Meist stellen solche Werke unsere Wahrnehmung in Frage. Das ist bei den Blumenbildern der New Yorker Künstlerin Katinka Matson nicht anders, nur dass man ganz genau hinsehen muss, um zu erkennen, dass es gerade die enorme Klarheit ist, die ihren Bilder eine surreale Aura verleiht. Da scheinen die Blüten von innen zu strahlen und die Details sind wie unter einem Vergrößerungsglas bis in die letzte Faser erkennbar. Katinka Matson ist vielleicht nicht die erste, die mit solchen Überzeichnungen experimentiert. Die fotorealistische Malerei hat mit dieser Art von Hyperrealismus in den 60er Jahren genauso gespielt, wie heute die Fotografen Andreas Gursky oder Loretta Lux. 


Scannerblüte
Foto: Katinka Matson

Neu ist allerdings die Technik, mit der Katinka Matson ihre Bilder anfertigt. Anstatt Ölfarben oder Kamera benutzt sie einen Scanner. Und weil die Lichtabtastung eines Scanners selbst die leichteste Unschärfe oder Verschiebung optischer Achsen eliminiert, entsteht ein naturalistischer Effekt, der unsere Sehgewohnheiten deshalb in Frage stellt, weil sich unsere Augen längst auf die Verzerrungen von Foto- und Filmkameraobjektiven eingestellt haben.

Der Wissenschaftshistoriker George Dyson beschrieb die Wirkung von Katinka Matsons Bildern: "Die Verarbeitung visueller Reize geschieht in Stufen – in der Netzhaut und im Sehzentrum des Gehirns nehmen wir sie zunächst wahr, bevor wir sie mit unserem Bewusstsein und unseren kulturellen Parametern interpretieren. Aber es gibt auch evolutionäre Stufen und irgendwo in uns ist noch die Sichtweise der Insekten verborgen, die ohne die Linsen des Augapfels oder gar einer Kamera Licht aufnehmen. Einer der Gründe, warum Katinka Matsons Arbeiten uns so berühren ist das Verfahren, dass ein Scannerverfahren eine instektengleiche Sehweise neu erschafft und uns in eine Urzeit zurückführt, in der wir mehr gesehen haben, weil wir weniger angesehen haben."

Begonnen hat alles mit einem Zufall. Katinka Matson war gerade dabei, Fotos einzuscannen. Sie kann sich nicht mehr genau daran erinnern, warum sie einen Strauss Blumen auf den Scanner legte. "Ich war ziemlich frustriert an dem Tag. Aber die ersten Blumenscans haben mich schon begeistert." Sie weiß nicht, ob sie die erste oder einzige war, die mit dieser neuen Technik experimentierte. Sie war jedenfalls die erste, die Scannerkunst soweit perfektioniert hat, dass sie als Künstlerin anerkannt wurde. Das New York Times Magazine nahm sie im Jahr 2002 in seine alljährliche Liste der Ideen des Jahres aus.

Fünf Jahre lang experimentierte sie mit Techniken und Materialien, bis sie die perfekte Kombination gefunden hatte, die Scans mit Adobe Photoshop zu bearbeiten und sie als Irisprints auf Aquarellpapier zu drucken, das auf Aluminium aufgezogen wird. Weil Irisprints nur eine begrenzte Größe haben können und zudem extrem empfindlich sind, hat sie ihre neueste Serie weißer Spinnenblumen mit einem neuen Druckverfahren auf überdimensionierte Leinwände drucken lassen, was die Gemäldestruktur ihrer Bilder noch verstärkt. Dreißig vierzig verschiedene Scans macht sie normalerweise von einem Satz Blumen, bis sie einen Winkel findet, der ihr interessant genug erscheint. Es dauert auch jedes Mal mehrere Tage, bis sie das richtige Stadium einer Blume erfasst hat. "Frische Blumen sind sehr hübsch", sagt sie. "Aber erst wenn sie erste Anzeichen des Welkens zeigen, werden sie auch interessant."

In München sind Bilder aus Katinka Matsons "Spider"-Series diese Woche im Rahmen des Bitfilmfestivals für digitale Medien auf der Bundesgartenschau erstmals auf Leinwand zu sehen. Dazu gibt es eine Projektion früherer Arbeiten.

ANDRIAN KREYE

Copyright © sueddeutsche.de GmbH/Süddeutsche Zeitung GmbH

[English translation]

 


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